Eingemeindung
Seit 50 Jahren Krefeld-Fischeln - wie es dazu kam!
von Ludwig Blum
Fischeln hat 1929 sicherlich nicht hellauf begeistert Zuflucht beim großen Bruder Krefeld gesucht. Fischeln war 1929 ein Ort mit durchaus geordneten Gemeindefinanzen. Die Gemeindekasse war keineswegs leer, vielmehr erhielt Krefeld damals 350 000 Mark bares Geld. Außerdem lag das „Krefelder" Stahlwerk ganz auf Fischelner Gebiet, zahlte seine Steuern also nach Fischeln. Die Fischelner waren eigentlich grundsätzlich für Selbständigkeit. Leider war nicht die „Willensmeinung" der Rathäuser und Bürger maßgebend. Die Gemeinden wurden nur gehört. Der Preußische Landtag entschied. Es geschah, wie das Gesetz es befahl. Grundlage der Eingemeindung war das Gesetz über die Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes vom 29.7.1929. Der Großstadtumkreis Krefeld-Land wurde aufgelöst. Teile kamen zum Stadtkreis Krefeld, und die Reste kamen zum neu gebildeten Landkreis Kempen-Krefeld. Dies Neugliederungsgesetz brachte wohl die bis dahin umfangreichste kommunale Neugliederung. Nicht überall wurde diese Neugliederung begrüßt. Sicherlich auch nicht in Fischeln. Aber es war nicht zu ändern. Die Gesetzesmaschinerie hatte beschlossen, und Fischeln kam zum Stadtkreis Krefeld-Uerdingen, der damals aus einer Dachgemeinschaft der Städte Krefeld und Uerdingen entstand.
Wie kam es dazu?
Krefeld, das deutsche Lyon, die Stadt von Samt und Seide, so wurde und wird Krefeld heute noch genannt. Fast monopolartig überwog die Textilindustrie das industrielle Bild der Stadt. Diese einseitige Wirtschaftsstruktur um 1850 konnte für Krefeld verhängnisvoll werden. Die Stadt hing buchstäblich am seidenen Faden. Es mußte etwas geschehen.
Krefeld lag ursprünglich abseits von den großen Verkehrsadern und war durch die kurkölnischen Plätze Uerdingen und Linn vom Rheinstrom abgeriegelt. Krefeld mußte den Anschluß nach draußen suchen. Krefeld brauchte einen Weg zum Rhein - den Krefelder Rheinhafen - und gedachte auf diese Weise andere lukrative Industrien nach Krefeld zu holen. Krefeld schied 1872 aus dem Landkreis Krefeld aus. Der Stadtkreis Krefeld wurde gebildet. Die Entwicklung zur Großstadt begann. Bald erwiesen sich die kommunalen Grenzen als zu eng. Der Bedarf für Wohn- und Industriesiedlungen mußte gesättigt werden. Aber wo? Doch nur bei den benachbarten Gemeinden. Krefeld wollte den Hafen und streckte seine Fühler nach Linn aus. Es fiel den Linnern nicht leicht, die Selbständigkeit aufzugeben. Im Jahre 1901 war es soweit, Linn wurde nach Krefeld eingemeindet. Der Weg zum Rhein war frei. Um die gleiche Zeit tauchte in Krefeld der Gedanke auf, dass auch Fischeln gut zu Krefeld passen würde. Diese Idee schwelte schon seit 1896 unter der Oberfläche. Vorerst jedoch verlief das Streben in Richtung Fischeln im Sande. Vielmehr galt das Interesse den Orten Oppum, Bockum und Verberg. Krefeld brauchte eine Verbindung einen Korridor, zwischen Krefeld und Linn. In diesen Rahmen passten die genannten Gemeinden. Obwohl der Landkreis Krefeld mit einer Ausgemeindung nicht einverstanden war, da er hierin eine Gefahr für den Bestand des Landkreises sah, hatte die Stadt Krefeld Erfolg. Im Jahre 1907 kamen die Nachbarorte Bockum, Oppum und Verberg zu Krefeld. Für Fischeln war mit diesen Eingemeindungen der direkte Weg zum Rhein versperrt. Die Weichen zur Eingemeindung von Fischeln waren damit gestellt. Fischeln hatte sein natürliches Vorflutgelände verloren. Ein aufstrebender Ort wie Fischeln brauchte auf Dauer Kanalisation und Wasserleitung. Eine Entwässerung war aber nur über das inzwischen Krefelder Gebiet gewordene Gelände möglich. Krefeld hatte ein gutes Pfand in der Hand.
Es ist sicherlich interessant zu hören, was in der Presse um 1906 über Eingemeindungsfragen zu lesen war. Der Krefelder Lokalanzeiger schrieb am 15.9.1906 u.a.: „Mit Fischeln ist es anders. Fischeln haben wir nicht nötig, wohl umgekehrt. Die Entwässerungsfrage, sowie die Wasser- und Beleuchtungsfrage muß Fischeln in unsere Arme treiben. Durch das Stahlwerk, welches viele hundert Arbeiter beschäftigt, die in Krefeld wohnen, ist ohnehin die Situation eine andere geworden, und Krefeld könnte jetzt einmal den Spieß umkehren und von Fischeln einen Beitrag zu den Schullasten verlangen. Jedenfalls müßte geprüft werden, ob man noch immer die Beisteuer für die Fischelner Schullasten zu zahlen verpflichtet ist.“ Am 22.12.1906 schrieb das gleiche Blatt: „Wenn die auf ihre Scheinselbständigkeit so stolze „Stadt Uerdingen" (die, nebenbei bemerkt, weit weniger Einwohner hat wie die Dörfer Bockum und Fischeln), dann gehörig ans Blechen kommt, wird sie schon froh sein, wenn Groß-Krefeld sie an seine Mutterbrust nimmt. Mit Fischeln liegt der Fall ähnlich. Durch das Stahlwerk haben sich die Verhältnisse wesentlich verschoben, so daß man wohl annehmen kann, es gingen mehr Arbeiter von Krefeld nach Fischeln zur Arbeit, als umgekehrt. Auch dies dürfte zu untersuchen und evtl. zu verwerten sein. Wir haben Fischeln für unsere Weiterentwicklung zur Großstadt nicht nötig, ob aber Fischeln auf die Dauer allen Anforderungen, die die Hygiene, die soziale Wohlfahrtspflege und die Volksbildung an den Gemeindesäckel stellen wird, aus eigenen Kräften gerecht werden kann, dürfte mehr als zweifelhaft sein. Man denke nur an die enorme Entwicklung des Stahlwerks und die Notwendigkeit, das Industriegelände schließlich einmal zu kanalisieren: Ohne Anschluß an Krefeld würde das für die Gemeinde mehrere Millionen kosten, an deren Deckung sie sich verbluten würde“. In der Niederrheinischen Volkszeitung erschien am 4. 6.1907 ein Artikel „Die Eingemeindung von Bockum, Verberg und Oppum endgültig genehmigt“.
In diesem Aufsatz kommt auch der Krefelder Oberbürgermeister Dr. Oehler zu Wort: „Ich möchte nur einige Bedenken zerstreuen, die bezüglich der Gemeinde Fischeln gegen das Eingemeindungsprojekt bestehen. Die Stadt Krefeld legt größten Wert darauf, zu Fischeln ein freundschaftliches Verhältnis herzustellen. So wird Krefeld auch bei der Kanalisation Einrichtungen treffen, daß Fischeln an diese angeschlossen werden kann. Ich glaube daher, daß auch von dieser Stelle keine Besorgnisse vorliegen. "Alles gute und schöne Worte, und trotzdem waren die ersten Ansatzpunkte für die spätere Eingemeindung schon gegeben. Fischeln blieb 1907 vorerst noch einmal selbständig.
Fischeln wir doch eingemeindet.
Etwa 20 Jahre danach trieb das Eingemeindungskarusell wieder seine Kreise.
Fischeln, eine eigenständige, sich selbst verwaltende Gemeinde, geriet in den Sog der Neugliederung. Es war ein Los, das Fischeln mit vielen kleinen Gemeinden teilen mußte. Verfochten wurde diese umfassende kommunale Neugliederung vom damaligen Innenminister (Grzesinski). Er meinte, lebensfähige Kommunalgebilde zu schaffen, die fähig sein sollten, ihre Aufgaben zur Zufriedenheit aller zu erfüllen. Wie die Gemeinden darüber dachten, ob die Bürgernähe Schaden litt, interessierte ihn weniger. Je größer das Gemeindegebilde, desto größer die Leistung, davon ging er aus.
Die Meinung der Rathäuser und Bürger war nicht maßgebend. Die großen Städte hatten wenig Bedenken, gedachten sie doch, von dem „Kuchen" etwas abzubekommen. Die kleinen Gemeinden hatten kaum eine Möglichkeit sich zu wehren, obwohl sie gehört wurden. Am 8.1.1928 sagte ein Staatssekretär in Elberfeld: „Nicht mehr die Willensmeinung der Kommunen ist bei der Aufteilung oder Zusammenlegung maßgebend, sie sollen nur gehört werden, die Entscheidung trifft der Preußische Landtag.“
Fischeln, ein Ort mit geordneten Gemeindefinanzen, hätte sicher noch auf lange Zeit ein selbstständiger schmucker Ort bleiben können. Alle Fischelner waren grundsätzlich für Selbständigkeit und wünschten sich die Eingemeindung nicht.
Der damalige Gemeinderat hat, ja mußte trotz allem der Eingemeindung zustimmen. Einmal wurde die Gemeinde nur gehört. Entschieden wurde an überörtlicher Stelle. Andererseits war die unbedingt notwendige Be- und Entwässerung Fischelns nur über Krefelder Gebiet möglich. Seit 1908 wurden Pläne für die Entwässerung Fischelns ausgearbeitet und Verhandlungen geführt. Die Verhandlungen kamen wegen der finanziellen Bedingungen nicht zu einem guten Ende. Erst 1914 kam ein Vertrag mit erträglichen Bedingungen zustande. Leider machte der Krieg alle Pläne zunichte. Der verlorene Krieg, die Geldentwertung (1923) sorgten dafür, daß vorerst an neue Entwässerungspläne nicht zu denken war.
Im Jahre 1924 nahm man sich endlich wieder dieser Sache an. Ein Gutachten wurde aufgestellt, und der Gemeinderat beschloß im Oktober 1926: „Die Gemeinde braucht dringend Kanal und Wasser. Da dies aus eigener Kraft nicht zu schaffen ist und weil die von der Staatsregierung bekannt gegebenen Pläne der Neuregelung im Regierungsbezirk Düsseldorf die Dinge ins Rollen gebracht haben, ist die Gemeinde Fischeln geneigt, mit der Stadt Krefeld in Verhandlungen einzutreten, um ihre Belange zu sichern." Darum beauftragte der Gemeinderat den Bürgermeister, bei der Stadt Krefeld und den maßgebenden Behörden die nötigen Schritte zu unternehmen. In einem Schreiben teilte Oberbürgermeister Dr. Johannsen (6.11.26) mit: „Vorbehaltlich der Zustimmung der Stadtverordneten nimmt die Stadt Krefeld aufgrund der früher geführten Verhandlungen die Kanalwässer Fischelns in die Kanalisation auf und liefert der Gemeinde Wasser.
Zugrunde gelegt, wird für den Vertrag der Entwurf, der vor Kriegsausbruch aufgestellt war." Fischeln mußte aus der Misere des „Pumpenwassers", und der „Plumpsklo's" heraus. Nicht alle Fäkaliengruben waren dicht. Eine Kontrolle war schwierig. Die Gefahr, verseuchtes Brunnenwasser mit den Pumpen zu fordern, war erheblich. Der Landkreis konnte in Sachen Bewässerung nicht helfen. Eine eigene Entwässerung zu bauen, war finanziell nicht tragbar. Fischeln war auf Krefeld angewiesen. Der Weg zum Rhein war nur über Krefelder Gebiet möglich. Aber Kanalisation für Fischeln war lebenswichtig Oberbürgermeister Dr. Johannsen bot 1927 an, die Kanalisation Fischelns sofort in Angriff zu nehmen, wenn die Gemeinde Fischeln mit überwiegender Mehrheit beschließt, daß die Vereinigung Fischelns mit der Stadt Krefeld erwünscht sei. Die Neugliederungsabsichten brachten die Landkreise Kempen und Krefeld in Aufruhr. Ging es doch um den Bestand dieser Landkreise. Es gab kommunalen Wirbel im Krefelder Nachbarschaftsbereich. Man wehrte sich aller Orten. Nur, so hieß es, das friedliche Fischeln will ganz nach Krefeld. Dabei war da von Wollen gar keine Rede. Es war einfach bittere Notwendigkeit, wie bereits vorher dargelegt. Und es kam, wie es kommen mußte. Fischeln wurde am 1. August 1929 nach Krefeld eingemeindet. Der Eingemeindungsvertrag zwischen der Stadt Krefeld vertreten durch den Oberbürgermeister Dr. Johannsen und der Gemeinde Fischeln, vertreten durch den Bürgermeister Wilhelm Stefen, wurde auf Grund des Stadtverordnetenbeschlusses vom 16.5.1929 und des Gemeinderatsbeschlusses vom 11.5.1929 am 17. Mai 1929 geschlossen.
Am 4. 8. 1929 fand in der Stadthalle zu Krefeld eine „Umgemeindungsfeier" statt. Nachstehend die Rede des damaligen Bürgermeisters Wilhelm Stefen (Fischeln) zur Umgemeindung:
„Hochverehrter Herr Oberbürgermeister!
Meine Damen und Herren!
Bedeutsam ist dieser Tag, bedeutsam ist diese Stunde! Bedeutsam für die Stadt Krefeld, bedeutsam aber namentlich auch für die Landgemeinden, die sich mit der Stadt Krefeld verbunden haben, und in deren Namen und Auftrag ich spreche. Ein schwerer Tag für die Landgemeinden; geben sie doch zu einem großen Teil ihre Selbständigkeit auf; altgewohnte und gedeihliche Selbstarbeit, in welcher sie die Bürgerschaft interessierten und verbanden zu gemeinsamem Streben!
So ist dieser Tag für uns ein Tag des Opfers und des Schmerzes! Er ist aber auch für uns ein Tag der Hoffnung!
Wir hoffen, in dem Anschluß an die große und mächtige Stadt Krefeld auch eine kraftvolle und zielklare Entwicklung unserer Interessen zu finden. Wie die Verträge vertrauensvoll getätigt sind, so vertrauen wir auch, daß sie stets eine loyale Ausführung finden werden! Die Schwächeren haben immer einen besonderen Anspruch auf den Schutz der Starken!
So erhoffen wir auch, daß die Interessen unserer Arbeiter, unserer Bauern und Gärtner, unseres Mittelstandes, unserer Handwerker und unserer Industrie durch die Stadt Krefeld allewege Anerkennung, Pflege und Förderung finden werden!
So vereinigen wir uns mit vollem Vertrauen, mit dem ernsten Willen ehrlich mitzuarbeiten am Wohlergehen, an der Weiterentwicklung der neuen Großstadtgemeinde Krefeld-Uerdingen.
Möge mit dem Umfang auch die innere Kraft und der Frieden wachsen und sich mehren und möge diese Großstadtgemeinde wachsen, blühen und gedeihen immerdar!"
Der Schlußstrich war getan. Das Preußische Staatsministerium hatte beschlossen. Die selbständige Gemeinde Fischeln war nicht mehr, erlebte aber ihre Wiedergeburt als städtische Vorortgemeinde Krefeld-Fischeln. Die Eingemeindung Fischelns war letzten Endes nicht zu verhindern. Und wie sieht es heute aus? Die Fischelner können eigentlich nicht unzufrieden sein mit einer Entwicklung die einfach nicht aufzuhalten war. Wer um 1929 von Fischeln nach Krefeld wanderte, der fand zwischen den Orten sehr viel freies Feld. Macht man heute denselben Weg, dann wird man kaum feststellen können, wo Fischeln aufhört und Krefeld anfängt. Gar nicht daran zu denken, daß es zwischen Fischeln und Krefeld einmal eine Landesgrenze gab. Die Orte sind inzwischen zusammengewachsen. Manches aus dem Eingemeindungsvertrag ist Wirklichkeit geworden. Sicher aber auch ist mancher Wunsch der Fischelner offen geblieben. Vielleicht bringt die Zukunft noch die Erfüllung offener Wünsche. Erfreulich ist, daß Fischeln sich bisher eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt hat, die mehr oder weniger auch von der Stadt Krefeld anerkannt wird. Die Fischelner müssen selbst dafür sorgen, daß sie nicht ganz und gar von der Großstadt verschluckt werden. Fischeln soll und muß die Heimat aller Fischelner sein und bleiben. Fischeln darf nicht aufhören zu existieren.
Zentralisieren, das ist der Zug der neuen Zeit. Die Verwaltung soll vereinfacht werden. Wird sie das wirklich? Man darf Zweifel hegen. Das Wohl des Bürgers muß oberstes Gebot sein. Die Verwaltung ist für den Bürger da und nicht der Bürger für die Verwaltung.